CURATORIAL TEXTS

Eva Brunner • Perchance to Dream /

Text: Wolfgang Zurborn

Mit ihren Bildern der Serie Perchance to Dream entführt uns die Fotografin Eva Brunner in eine Welt zwischen Fantasie und Wirklichkeit, zwischen Authentizität und Inszenierung. Wie in einem Tagtraum gehen wir auf eine Reise mit ständig wechselnden Szenerien in urbanen Räumen und Naturwelten, immer auf der Schnittstelle von Privatheit und Öffentlichkeit. Der Begleiter und zugleich Hauptdarsteller bei dieser Erkundung eines „Theaters des realen Lebens“ ist ihr Lebenspartner. Permanent präsent im Fluss der Bilder nimmt er dabei unterschiedliche Rollen an als Bernhard und in seiner Transidentität als Barbara. Die besondere Qualität der Arbeit Perchance to Dream liegt darin, flüchtige Momente des Alltagslebens in der gleichen Intensität darzustellen wie die theatralischen Inszenierungen einer „Transsexualität“. Es gibt keine klar definierte Trennung zwischen den Identitäten. Wie in der Verkleidung viel Wahrheit steckt, so ist das Ungeschminkte voller Geheimnisse.

Gerade bei dem Medium Fotografie mit dem direkten Bezug zum Abbild des Wirklichen wird üblicherweise penibel unterschieden zwischen einer dokumentarischen Haltung, einer wahrhaftigen Darstellung der Lebenswelt einerseits und einem künstlerischen Konzept der Inszenierung, das sich loslöst von konkreten Bezügen zur Realität, andererseits. Sich von diesen Eingrenzungen im Umgang mit der Fotografie zu lösen, ist eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung einer höchst subjektiven, persönlichen Bildsprache. Erst diese macht es der Fotografin möglich, auf dem schmalen Grat zwischen Sehen und Imaginieren, zwischen Distanz und Intimität, ein Bild ihres Partners zu zeichnen, das lebendig in dem Sinne ist, dass es nicht bereinigt wird von allem Widersprüchlichen und Paradoxen. Das Begreifen des Lebens in all seinen Windungen ist für Eva Brunner weniger ein rationaler Akt, als vielmehr eine körperliche Erfahrung. Ihr Protagonist ertastet eher den Raum, als dass er ihn repräsentativ füllt. Er erscheint zugleich verletzlich und kraftvoll sowie nachdenklich und extrovertiert.

Die unterschiedlichen Gefühlszustände werden dabei nicht wie bei konventioneller Porträtfotografie vorrangig in der Physiognomie des Dargestellten sichtbar, sondern vielmehr in der Sprache des Körpers und in der Choreografie der Hände. Die Fotografin führt dabei keine strenge Regie. Sie sucht nicht nach exakt vorgeplanten Bildwelten, sondern bleibt offen für das Unerwartete, provoziert den Zufall, in dem sich in einer glücklichen Fügung, innere Bilder mit der äußeren Wirklichkeit decken. Die intuitive Wahrnehmung beim Akt des Fotografierens und die bewusste Schichtung verschiedener Erzählebenen beim Prozess des Editierens, lässt in dem Buch Perchance to Dream ein Narrativ entstehen, das keiner linearen Logik folgt, aber in seiner visuellen Stringenz ein Vertrauen schafft, sich fallen lassen zu können in den Strom der Bilder.

Während man sich bei der Betrachtung der Bildsequenzen ihrer früheren Arbeit „No Escape from Paradise“ in einen Garten Eden versetzt fühlte, wird man in ihrer aktuellen Serie aus diesem Paradies vertrieben. Der Alltag dringt ein in diese Traumwelt zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit. In der assoziativen Bildvernetzung auf den Doppelseiten des Buches erscheint der Mensch im Spannungsfeld von Natur und Kultur. Archaisch wirkende Abbildungen von Fauna und Flora stehen Fotografien gegenüber, die Szenen im Leben mit ihrem Partner in den Fokus rücken. Gerade dieses Wellenbad aus magischer Überhöhung, theatralischer Expressivität, authentischer Direktheit und profaner Alltäglichkeit macht den besonderen Reiz der Publikation Perchance to Dream aus. Losgelöst von einem klassischen Umgang mit den Genres der Fotografie werden hier zwei eigentlich gegensätzliche Strategien des Mediums in idealer Weise verknüpft: ein genaues Hinschauen auf das, was vor der Kamera geschieht auf der einen Seite und eine präzise Inszenierung für die Aufnahme auf der anderen Seite. Die Möglichkeit zu träumen nährt sich aus einer empathischen Wahrnehmung der Lebenswelt und einer Freiheit zur Imagination des Unbewussten.

Text: Wolfgang Zurborn

With the images of her series Perchance to Dream, photographer Eva Brunner transports us into a world between fantasy and reality, between authenticity and mise-en-scène. As if in a daydream, we embark on a journey with ever-changing sceneries in urban spaces and natural worlds, always at the intersection between privateness and the public sphere. Her companion and simultaneously the main protagonist in this exploration of a “theatre of real life” is her life partner. Constantly present in the flow of images, he assumes various roles, both as Bernhard and in his transidentity as Barbara. The special quality of Perchance to Dream lies in the fact that it depicts fleeting moments of everyday life with the same intensity as the theatrical stagings of a “transsexuality”. There is no clearly defined boundary between identities. Just as there is much truth in disguise, the unadorned is full of secrets.

Especially in photography — a medium closely tied to the depiction of reality — there is usually a pedantic distinction between a documentary position, a truthful representation of the world of life on the one hand, and an artistic concept of orchestration that detaches itself from specific references to reality, on the other. Breaking away from these limitations in dealing with photography is an important prerequisite for developing a highly subjective, personal visual language. It is this visual language which allows the photographer to walk the fine line between seeing and imagining, between distance and intimacy, to draw a picture of her partner which is alive in the sense that it is not purged of all contradictions and paradoxes.

For Eva Brunner, understanding life in all its twists and turns is less a rational act than a physical experience. Her protagonist seems to feel through the space rather than simply filling it as a representation. He appears vulnerable and strong, as well as contemplative and extroverted. The various emotional states do not, as in conventional portrait photography, become primarily visible in the subject’s physiognomy, but rather through the language of the body and the choreography of the hands. The photographer does not impose strict direction. She does not seek precisely pre-planned imagery but she remains open to the unexpected, provoking chance, where in a fortunate coincidence, inner images find alignment with the outer reality. The intuitive perception in the act of photographing and the conscious layering of different narrative levels during the editing process give rise to a narrative in the book Perchance to Dream that does not follow a linear logic but, through its visual consistency, creates a sense of trust which allows to let oneself fall into the stream of images.

While the image sequences in her earlier work No Escape from Paradise transported viewers into a Garden of Eden, her current series expels us from this paradise. Everyday life intrudes into this dream world between naturalness and artificiality. In the associative image pairings on the book’s double-page spreads, human being appears in the field of tension between nature and culture. Depictions of fauna and flora which seem archaic are juxtaposed with photographs that focus on scenes in life with her partner. It is precisely this oscillation between magical elevation, theatrical expressiveness, authentic directness, and mundane ordinariness which lends Perchance to Dream its unique appeal. Detached from a classical approach to the genres of photography, two actually opposing strategies of the medium are intertwined here in a most ideal way: a close look at what happens in front of the camera, on the one hand, and a precise staging for the shot, on the other. The possibility of dreaming is nourished by an empathetic perception of the world of living and a freedom to imagine the unconscious.

Text by Wolfgang Zurborn

Translation by Daniel Aldridge

Eva Brunner • No Escape from Paradise /

Text: Wolfgang Zurborn

Der Garten Eden stellt sich in den Bildern von Eva Brunner als ein labyrinthischer Ort dar, halluzinierend zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit, losgelöst vom Irdischen und doch wieder geerdet im menschlichen Körper. Gibt es ein Entrinnen aus diesem ewigen Glück oder ist der Mensch gefangen in der permanenten Suche nach ihm? Von oft mystisch wirkender Schönheit geblendet, tauchen wir in eine Welt ein, die keiner Logik von Ort und Zeit mehr folgt. Im permanenten Wechsel der Perspektiven und Lichtstimmungen fügen sich Fotografien von paradiesischen Landschaften, geheimnisvollen Körperinszenierungen mit Spuren der Zivilisation zu einem surrealen Bilderstrom zusammen. Die Dramaturgie der Sequenzierung entfaltet mit einer subtilen Abstimmung der Farben und einer Verdichtung der Bildräume einen visuellen Sog, dem sich der Betrachter kaum entziehen kann. Trotz einer hohen ästhetischen Wirkung der Motive kommt nie die Gefahr auf, in die Falle einer rein idyllischen verklärenden Naturbetrachtung zu geraten. Dafür sorgt das spannungsvolle Zusammenwirken der Bilder mit ihren kontrastierenden Visionen des Natürlichen.

Auf diesem Trip in die Grenzregionen von Dokument, Imagination und Inszenierung der Wirklichkeit begleitet uns Eva Brunners Lebenspartner – Bernhard Kempen – als Protagonist zwischen archaischer Nacktheit und theatral kostümierter Inszenierung. Die
Fotografin erzählt dabei keine lineare Geschichte und portraitiert auch nicht die handelnde Person. Ihr Mann ist in dieser Serie ein Darsteller, der verschiedene Gefühlszustände im Verhältnis zur Natur verkörpert. Wie Adam im Paradies, in einem Dschungel aus übergroßen Pflanzen traumwandelnd, taucht er zum ersten Mal auf und in ein grünes Gewand gehüllt verlässt er am Ende der Serie durch einen Sumpf schreitend die Szenerie.
Bedeutungsschwangere Symboliken sind Eva Brunner fremd und so haben ihre Bilder bei aller Tiefgründigkeit eine große Leichtigkeit im rhythmischen Zusammenspiel der Motive. Der menschliche Körper wird in ganz unterschiedlichen Zuständen gezeigt, als agierende Person in der Bewegung, in fragmentarischen Sichten, die das Sensitive betonen und letztlich in der vollkommenen Verschmelzung mit der Natur. Die Taktung dieser Variationen des Menschenbildes in szenischen Aufnahmen, abstrahierenden Kompositionen und komplexen Bildschichtungen hält den neugierigen Blick des Betrachters permanent wach. Keine vordergründige Logik bremst die Fantasie und somit können die subjektiven Visionen der Fotografin unmittelbar als Stimulator für Reflexionen über das eigene Verhältnis zur Natur wirken.

Von einer „falschen Natur“ der Fotografie hat schon der französische Semiotiker Roland Barthes gesprochen. Der dem Medium immanente Realitätsbezug verleitet oft zu der irrigen Annahme, dass wir mit fotografischen Bildern etwas Natürliches produzieren. In dem Moment der Aufnahme wird aus dem Blick auf die Natur ein kultureller Eingriff, der von individuellen Interessen bestimmt wird. Eva Brunner ist sich bei ihrer Arbeit „No Escape from Paradise“ sehr bewusst über ihren subjektiven Blickwinkel auf das
spannungsvolle Verhältnis zwischen Mensch und Natur in unserer zeitgenössischen Gesellschaft. Ihre Sichten auf Landschaften, Gewässer, Bäume, Pflanzen und Blüten fügen sich nicht zu einem Klischee der heilen unberührten Natur zusammen und sie werden auch nicht aus analytisch dokumentarischer Distanz als Interpretationen einer eindeutigen Realität gesehen. Die Bildausschnitte sind sehr präzise gesetzt, so dass alles Abgebildete aus sich selbst heraus eine Erzählkraft entwickeln kann, unterstützt durch ein Gefühl für das wirkungsvolle Licht. Erst die Nähe zu den gewählten Sujets ermöglicht eine solche Intensität der Betrachtung, die auch zugleich die Aufgabe einer Kontrolle bedeutet. Somit können wir in eine Bilderwelt eintreten, die nichts Willkürliches, sondern das Unmittelbarste menschlicher Erfahrung spiegelt: das Reich der Gefühle und Ahnungen.

Text: Wolfgang Zurborn

In the pictures of Eva Brunner, the garden of Eden presents itself as a labyrinthine place, a hallucination between naturalness and artificiality, separated from the earthly but yet grounded again in the human body. Can we escape from this eternal happiness? Or are we captivated in the permanent search for happiness? Dazzled by beauty of frequently mystical apparition, we find ourselves immersed in a world which no longer follows any logic of space and time. In a permanent alternation of perspectives and moods of light, photographs of paradisiacal landscapes or enigmatic body presentations are merging with traces of civilisation to form a surreal stream of imagery. By subtle balancing the colours and by compression of the image spaces, the dramatic composition of the sequences unfolds a visual pull which the viewer can hardly elude. Although these themes are having a high aesthetic impact, there is never the danger of walking into the trap of a purely idyllic idealisation of contemplating nature. This is evoked by the suspenseful synergy of the pictures with their contrasting visions of the natural.

On this trip into the borderlands of document, imagination and stagings of reality, we are accompanied by Eva Brunner´s partner in life, Bernhard Kempen, as the protagonist between archaic nakedness and costume theatre performance. The photographer does not deliver a linear narrative, nor does she portray a person in action. In this series, her husband is a performer who embodies various emotional states in relation to nature. Sleepwalking in a jungle of oversized plants, he emerges for the first time like Adam in paradise. At the end of the sequence, swathed in a green robe, he departs the scenery while striding through a bog. Pretentious symbolism is not known to Eva Brunner. Therefore her pictures, as profound as they are, still display a lot of lightness in the rhythmic interplay of motives. The human body is revealed in quite different states – as an acting person in movement, in fragmentary views which emphasize sensitivity, and ultimately in a perfect merging with nature. The curious gaze of the beholder is permanently kept awake by the measuring of these variations of the human concept in scenic images, abstracting composition and complex visual superposition. No foreground logic curbs the viewer´s fantasy. Therefore, the subjective visions of the photographer can immediately stimulate contemplation of the self ’s relationship to nature.

The French semiotician Roland Barthes already spoke of a ‘false nature’ of photography. The relation to reality which is immanent to the medium often leads us to the erroneous assumption that something natural is produced through photography. But in the moment of the shot, the view to nature becomes a cultural mesh which is designed by individual concerns. In her work ‘No Escape from Paradise’, Eva Brunner is very much aware of her subjective point of view towards the relationship between man and nature in our contemporary society. Her ways of viewing landscapes, trees, plants and blossoms do not culminate in a cliché of idyllic and untouched nature, nor do they constitute an interpretation of a conclusive reality which would be made from the distance of an analytical documentation. The image details are put in place with high precision, so that everything which is depicted can develop a narrative power all by itself, facilitated by a sense of the effective light. Only the proximity to the chosen subjects enables such an intensity of observation which also means relinquishing any control. Thus we can find entrance into a world of imagery that is not arbitrary at all. It rather reflects the most immediate of human experiences: the realm of emotion and premonition.

Text by Wolfgang Zurborn

Translation by Daniel Aldridge

Eva Brunner Phasenübergänge / Einführung zur Vernissage /

Dr. Bernhard Kempen

Meine Damen und Herren, liebe Freunde, Grüezi miteinand!

Das ist auch schon fast alles, was Sie von mir an Schwyzerdütsch erwarten können. Früher dachte ich mal, dass ich Schwyzerdütsch ganz gut verstehe und sogar ein bisschen sprechen kann. [Im schweizerischen Akzent von Emil Steinberger gesprochen:] Als ich damals in meiner Jugend die wunderbaren Sketche von Emil gesehen habe. Seinerzeit habe ich das tatsächlich für Schwyzerdütsch gehalten, bis ich gehört habe, wie sich die liebe Eva mit ihren Schweizer Freunden unterhält. Und da hab ich denn als norddeutscher Fischkopp ersma ganix mehr verstanden, ne? Aber es wird langsam besser. Ich kriege immer noch nicht alles mit, aber jedes Mal ein bisschen mehr.

Und zum Glück werden Sie mich verstehen, wenn ich Sie nun zur Vernissage der Photoausstellung „Phasenübergänge“ hier in der Buchhandlung Hirslanden willkommen heiße. Es handelt sich sozusagen um den Auftakt der großen „Eva-Brunner-Festwoche“, die am Freitag, den 20.5.2016, mit der Premiere ihres Theaterstücks „Der kleine Gatsby“ in Luzern fortgesetzt wird. Ich finde, es ist an der Zeit, dass diese so unglaublich bescheidene Autorin, Übersetzerin und Fotografin die ihr gebührende Aufmerksamkeit erhält!

Als ich mir die ersten Gedanken über diese Einführung gemacht habe, wurde mir sehr schnell klar, dass ich mich dem Thema nur mit einem sehr persönlichen Ansatz nähern kann. Das fängt schon damit an, dass ich mich irgendwann von Eva breitschlagen ließ, hier die Einführungsrede zu halten, obwohl ich eigentlich gar nicht der große Experte für Fotografie bin. Andererseits kann ich sehr wohl eine Menge zu diesen Fotos hier sagen. Was glauben Sie, wessen Silhouette auf einigen dieser Bildern zu sehen ist? Neben meinen diversen akademischen und literarischen Tätigkeiten habe ich jetzt auch noch einen Nebenjob als Fotomodell!

Wie ist es dazu gekommen? Dazu muss ich wieder etwas persönlicher werden. Als ich Eva vor etwa drei Jahren kennengelernt habe, habe ich mich zunächst nicht als Dr. Bernhard Kempen vorgestellt, sondern als Barbara – einfach nur Barbara! Das war auf einer netten Party, zu der ich mich mit Minirock, Highheels und Perücke aufgehübscht hatte. Daraus entwickelte sich zum einen eine wunderbare Beziehung, und es entstanden gleich mehrere, ebenfalls sehr beeindruckende Fotoserien mit meiner weiblichen Transidentät.

Wie kommt man(n) dazu, eines Tages als Transe loszustöckeln? Bei mir war es so, dass ich mich schon immer etwas unwohl gefühlt habe, wenn man mich als offensichtlich männliches Wesen zu sehr mit männlichen Rollenvorstellungen identifiziert. Und mit Eva habe ich dann endlich jemanden gefunden, der mit beiden Seiten von mir klarkommt. Und das hat interessanterweise auch dazu geführt, dass ich mich inzwischen mit meiner männlichen Gestalt viel wohler fühle.
Vielleicht wundern Sie sich ein bisschen, warum ich Ihnen das alles erzähle. Aber keine Sorge, das hängt durchaus irgendwie zusammen. Und es hat – zumindest für mich – eine Menge mit diesen Fotos zu tun. Hier bin ich nämlich – man kann fast sagen, ausnahmsweise – mal in männlicher Gestalt zu sehen. Und auch diese Fotos sind richtig gut geworden, wie ich finde!

Was ist nun das Besondere an diesen Bildern? Abgesehen von der Tatsache, dass ich darauf zu sehen bin, was mich natürlich sehr freut. Aber auch nicht auf allen …

Dazu muss ich schon wieder recht persönlich werden. Eva hatte ursprünglich einen ganz anderen Titel für diese Ausstellung geplant, irgendwas mit Spiegelungen oder Reflexionen. Das hätte auch gepasst, aber als sie mir dann ihre Auswahl gezeigt hat, damit ich auf ein paar Ideen komme, was ich hier heute Abend erzählen könnte, habe ich plötzlich ein ganz anderes Thema in diesen Bildern gesehen. Ich glaube, Eva hat kein Problem damit, wenn ich hier ausplaudere, dass der Titel „Phasenübergänge“ meine Idee war.

Ich weiß ja nicht, wie gut Sie in der Schule in Chemie und Physik aufgepasst haben. Mein Fachgebiet ist ja eigentlich – jetzt kommt wieder etwas ganz anderes – die Science Fiction. Das bedeutet, dass ich mich auch als Geisteswissenschaftler oft mit naturwissenschaftlichen Themen beschäftige. Deswegen war ich geradezu prädestiniert, auf so eine Idee zu kommen.

Ein Phasenübergang ist, wenn ein Stoff in einen anderen Aggregatzustand übergeht. Wenn Wasser kocht und zu Wasserdampf wird. Oder gefriert und sich in Eis verwandelt. Oder umgekehrt, wenn’s taut oder kondensiert. Fast jede Substanz ist, je nach Temperatur, mal fest, mal flüssig, mal gasförmig. Es ist immer noch die gleiche Substanz, aber bei einem Phasenübergang ändern sich schlagartig die Eigenschaften dieser Substanz. Auch Eis ist einfach nur Wasser, aber der Unterschied dürfte Ihnen bewusst werden, wenn sie im selben See baden, auf dem Sie noch ein halbes Jahr zuvor Schlittschuh gelaufen sind.

Das entspricht ungefähr den vier klassischen Elementen Erde, Wasser, Luft und Feuer. Auch das Feuer gehört dazu, wobei die Physiker in diesem Fall lieber vom Aggregatzustand des Plasmas reden, wenn’s nur noch lodert und brennt. Und genau genommen gibt es noch viel mehr: Ein Kristall ist ein ganz besonderer Zustand, den bestimmte Substanzen annehmen können. Unter extremen Bedingungen können Suprafluide, mesomorphe Zustände oder Bose-Einstein-Kondensate entstehen. Und jede Form von Leben ist im Grunde auch ein sehr spezieller Aggregatzustand.
Und genau das habe ich sofort in diesen Fotos gesehen. Den Moment des Phasenübergangs, in dem alles uneindeutig ist, wo noch unklar ist, was sich am Ende herauskristallisieren könnte. Überall sieht man hier Dinge, bei denen man sich erst einmal fragt, ob sie nun fest, fließend oder flüchtig sind. Der Übergang von Stein zu Erde zu Schlamm zu Wasser. Oder Wolken, die sich in Glas spiegeln, zugleich luftig und fest.

Übrigens ist Glas eigentlich gar kein fester Stoff, sondern eine Flüssigkeit. Wenn eine Glasschmelze abkühlt, nimmt lediglich die Viskosität zu, das heißt, die Flüssigkeit wird immer zäher, bis sie nahezu unendlich langsam fließt, sodass sie sich scheinbar wie ein fester Körper verhält – aber eben nur scheinbar. Ein kontinuierlicher Phasenübergang, der nie ganz abgeschlossen ist – ein amorpher Aggregatzustand. Auch so etwas gibt es.

Und auf diesem Bild spiegelt sich ein fester, lebender Körper in flüssigem Wasser, das von Bewegungen der gasförmigen Erdatmosphäre gewellt wird. Ist das dann überhaupt noch ein fester Körper? Oder etwas Flüssiges, das sich an der Grenzschicht zur Luft abspielt? Obwohl es letztlich doch nur ein Bild ist, ein Foto, ganz konkret eine Ansammlung von Pigmenten auf Alu-Dibond kaschiert, insgesamt also doch wieder ein Objekt im festen Aggregatzustand. Aber eigentlich geht es doch um das Licht, das wir hier sehen, und Licht ist Energie, also quasi Feuer, der vierte Aggregatzustand. Eingefangen vom lebenden Auge und von der mechanischen Kamera der Fotografin, digital gespeichert und auf diesem Foto wieder sichtbar gemacht, zum Leben erweckt.

Apropos Leben: Ich mit meinem recht speziellen, bereits erwähnten Hintergrund habe da natürlich noch eine weitere Parallele gesehen. Wenn ich mich von Bernhard in Barbara verwandle, hat auch das etwas von einem Phasenübergang. Plötzlich fühlen sich viele alltägliche Dinge ganz anders an. Ich sehe die Welt mit anderen Augen, und die Menschen gehen ganz anders mit mir um. Als wäre ich science-fiction-mäßig in einem Paralleluniversum gelandet, in dem sich die Raumdimensionen irgendwie verschoben haben.

Auch auf diesen Fotos sind die Perspektiven zunächst einmal unklar. Wo ist vorn oder hinten? Steht das vielleicht etwas auf dem Kopf? Was sehe ich da eigentlich? Aber dann lässt man sich einfach mal auf dieses fremde Universum ein. Obwohl all diese Bilder Splitter unserer vertrauten Wirklichkeit sind. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich darauf hinweisen, dass an diesen Bildern – außer ein paar Kontrast- und Formatanpassungen – nichts digital bearbeitet wurde. Bei manchen dieser Fotos könnte man vielleicht auf die Idee kommen, aber all diese Perspektiven hat die Fotografin in diesem Moment tatsächlich so gesehen. All diese Phasenübergänge sind Realität!

So, nu ha’ick aber ma jenuch jelabert, wa? Jetzt können Sie sich die Fotos in Ruhe ansehen und die Fotografin persönlich kennenlernen – oder auch ihr Lieblingsfotomodell … Und natürlich dürfen Sie auch gerne einen ökonomischen Phasenübergang einleiten, damit Sie diese Bilder nicht nur als ätherische Erinnerung, sondern in festem Aggregatzustand des persönlichen Eigentums mit nach Hause nehmen können.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen noch einen schönen Abend! [Wieder mit „Emil-Akzent“:] Und vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Dr. Bernhard Kempen, 17.5.2016, in der Buchhandlung Hirslanden, Zürich

Eva Brunner Landscapes with figures

Text: Jaume Fabrega

,,Landschaften“ nennt Eva Brunner die hier vorliegenden Fotografien. Dieser unschuldige Titel birgt jedoch eine ganze Ladung an Absichten, Emotionen und Suggestionen in sich. Tatsächlich handelt es sich um urbane Landschaften die, jenseits von jeglichem Ästhetizismus oder bloßer Wiedergabe, oder – andersherum – das scheinbar Einfache suchend, eine starke Menschlichkeit verströmen. Mann und Frau sind immer präsent, sowohl physisch in flüchtiger oder bestimmungsgebender Anwesenheit – von der Landschaft Besitz ergreifend, könnte man sagen; oder noch besser: sie „bewohnend“ – oder durch ihre Handlungen und Objekte urbanen Mobiliars, verbraucht, vernutzt und verändert. Eva praktiziert eine eindringliche und bewegende „Poetik der Abnutzung“, die ein intensives und gelebtes städtisches Leben beschreibt, kein „durchgestyltes“. Diese Poetik bedient sich paradoxerweise einer kalten und objektiven Sprache, sezierend, was ihrer Aussage eine seltene und fesselnde Intensität verleiht. Die Benutzung und Abnutzung, der Zeitfaktor führen uns die Stadt vor; da bewegen sich Leute in Eile und in sich verschlossen; jemand macht einen kurzen Halt und schaut sich um, jemand ruht sich aus, jemand schläft, jemand liest etwas vom Boden auf, jemand feiert eine Party. Da gibt es kaputte Verkehrsschilder, Müll, Straßen mit Schlaglöchern, Autos, Hunde, Vögel und Graffiti. Das Leben der Stadt – und des Menschen – am Höhepunkt intensiven und flüchtigen Erlebens eingefroren durch den inquisitiven und objektiven Blick Eva Brunners, der aber gleichzeitig sanft, intensiv und gefühlvoll ist. Was können wir mehr von einem Kunstwerk verlangen?

Text: Jaume Fabrega
(AICA – International Association of Art Critics)

Eva Brunner calls her current collection of photographs „landscapes“. This innocent title, however, conceals a panoply of deliberations, emotions and suggestions. In fact, it is a matter of urban landscapes that radiate an intense humanity, beyond any aestheticism or mere reproduction, or – conversely – seeking the apparently ordinary. Men and women are always present, physically, in landscape, one could actions and objects, fleeting or defining attendance – appropriating the say; or even better: „inhabiting“ it – or in their their urban chattels, worn out, exploited and deformed. Eva practices a haunting and moving „poetry of deterioration“ that describes an intensive, a lived urban existence, not one which is „stylised“. This poetic technique, paradoxically, avails itself of a cold and objective language, dissecting what bestows a rare and compelling intensity upon her declaration. Use and deterioration and the time factor serve to present the city to us; here, people scurry along, withdrawn and sealed off; someone stops briefly and looks around, someone is relaxing, someone is asleep, someone picks something up from the ground, someone is having a party. Here, there are broken street signs, rubbish, pot-holed streets, motor cars, dogs, birds and graffiti. The life of the city – and of mankind – frozen at the zenith of intense and fleeting experience by Eva Brunner’s inquisitive and objective eye, at the same time gentle, intense and lyrical. What more can we demand of a work of art?

Text: Jaume Fabrega
(AICA – International Association of Art Critics)